Freitag, 4. Dezember 2015

Völkerverständigung für Anfänger

Ich bin ja normalerweise ein recht introvertierter Mensch und will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Aber weil es ein vernünftiges Zusammenleben nur geben kann wenn die Leute freundlich zueinander sind bin ich aus Prinzip erst einmal jedem gegenüber nett und freundlich. Damit fahre ich in der Regel auch ganz gut.

Apropos fahren. Anfang der Woche musste ich zum Arzt fahren. Und wegen akutem Führerscheinmangel tat ich das wie immer mit meinem Velo. Mein Kopf schmerzte, es regnete, war kalt und ich war alles in Allem nicht besonders gut drauf. Nachdem ich meinen gelben Schein und ein Rezept in der Tasche hatte machte ich mich auf zu einer erzwungenen Stadtrundfahrt. Vom Arzt zur Apotheke, dann zum Ein-Euro-Job-Briefkasten, Krankmeldung abgeben. Von da zur Post um ein (Brief-)Päckchen abzuholen, dass der Knecht vom DHL aus mir unerfindlichen Gründen nicht in meinen Briefkasten werfen wollte. Geld abheben, zu den Stadtwerken ein paar Kilowatt Strom kaufen, dann zum Lidl und schließlich zurück nach Hause ins Warme. Eine Tour von rund 15 Kilometern mit pochendem Schädel im Regen ist kein Spaß, das könnt ihr mir glauben.


Nun braucht man normalerweise wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist ja nicht wirklich viel mit seinen Mitmenschen zu interagieren (vom klingeln wenn man sich von hinten einem Fußgänger nähert mal abgesehen), was mir in der Regel auch ganz recht ist. Allerdings machte ich an diesem Montagmorgen durchnässterweise und von Kopfschmerzen gebeutelt einen Fehler. Auf dem Weg vom Ein-Euro-Job-Briefkasten zur Post versuchte ich drei Meter vor einer gerade auf rot schaltenden Ampel vom zehnten in den dritten Gang zu schalten. Das Ergebnis war, dass meine Kette vom Ritzel rutschte. Also schob ich mein Rad auf den Bürgersteig um die Kette wieder an ihren Platz zu fummeln, was sich als schwieriger herausstellte als ich gedacht hatte. Beim ersten Versuch klemmte ich mir meinen Handschuh zwischen Kette und Ritzel ein, so dass ich die Kette fluchend wieder zurück drehen musste, wobei ich zwar meinen Handschuh befreite, aber eben auch die Kette wieder runter vom Ritzel drehte.

Während ich da also so herum hantierte kam ein älterer Herr über den Fußgängerüberweg zielstrebig auf mich zu und sprach mich an. Ich habe keine Ahnung was er sagte, denn ich hatte wie immer meine Ohrstöpsel bis zum Anschlag in den Lauschern und hörte gerade die Sleaford Mods mit voller Lautstärke. Ich zog also die Stöpsel aus den Ohren und sagte "Häh?". Das mag sich jetzt auf den ersten Blick mit meiner Einleitung beißen, da es für den uneingeweihten recht unhöflich klingt. Man muss aber wissen, dass für den Durchschnitts-Trierer ein "Häh?" als Antwort auf eine Frage durchaus freundlich ist. Normalerweise bekommt man eher ein unfreundliches "wat willst dou denn?" entgegengeschleudert. Und das färbt halt nach zehn Jahren in dieser Stadt ein bisschen ab. Mein Gegenüber ließ sich jedenfalls nicht entmutigen und fragte mich nach dem Weg zu einem Laden, der sich keine 100 Meter weiter die Straße entlang befindet. Ich zeigte in die Richtung und sagte, mich jetzt auf meine eigentlich ganz guten Manieren besinnend, freundlich: "gleich da hinten links". Der Mann bedankte sich und latschte in die angezeigte Richtung davon. Ich machte mich wieder an meiner Kette zu schaffen, nachdem ich geistesgegenwärtig vorher meine Handschuhe auszog.

Allerdings kam ich nicht besonders weit, bevor ich wieder unterbrochen wurde. "Hallo?" sagte eine Stimme sehr vorsichtig. Ich sah auf und blickte einen jungen Mann an, der mit seinen zwei Aldi-Einkaufstüten voller Klamotten, genauso durchnässt wie ich, ziemlich verloren aussehend, vor mir stand. "Hallo" erwiderte ich. Der Mann lächelte. Ich nehme an dass er sich nur getraut hat mich anzusprechen weil er gesehen hatte, wie ich dem Anderen Auskunft gab, kann mich aber auch irren.
"Trann?" fragte er hoffnungsvoll. Ich hatte keine Ahnung was der Bursche von mir wollte. "Bitte was?" erwiderte ich. "Trann" wiederholte er. Ich zuckte mit den Schultern und sagte "Tut mir leid, ich hab keine Ahnung was du von mir willst".
Er wieder: "Trann?"
Ich beschloss, es mit englisch zu versuchen: "Sorry. I can't understand you, buddy. Do you speak english?" Er schüttelte den Kopf.
"No english. Farsi?" sagte er.
Ich lächelte und sagte "Nee, damit kann ich nicht dienen".
Der junge Mann guckte mich einen Moment verzweifelt an. Dann hellte sein Gesicht sich auf, er stellte seine Tüten ab und kramte sein Wischophon aus der Hosentasche, auf dem er dann einige Sekunden herumtippte. Schließlich hielt er es mir vor die Nase und zeigte mit dem Finger auf einen Eintrag eines Übersetzungsprogramms. "Öffentliche Verkehrsmittel" stand dort unter einer Zeile in persischer Schrift mit einem Symbol von einem Zug.
"Trann!" sagte er wieder, diesmal mit bestimmtem Tonfall.
Nun verstehend was er von mir wollte sagte ich: "Ach zum Bahnhof, ja da musst du da vorne vor der Brücke rechts und dann ein paar hundert Meter weiter kommst du zum Bahnhof."
Er sah mich an und sein Gesichtsausdruck war zu gleichen Teilen fragend und verzweifelt. Also versuchte ich es ihm mit Händen und Füßen zu erklären. Ich deutete auf die Brücke und machte mit zwei Fingern eine Geste die Laufen andeuten sollte, zeigte wieder auf die Brücke und machte ein Zeichen von dem ich hoffte dass es als "davor anhalten" verstanden wurde. Dann malte ich ein Rechtsabbiegen in die Luft und lief wieder mit den Fingern, diesmal von links nach rechts.
Der Gute schien verstanden zu haben, packte sein Handy wieder ein, griff seine Tüten, lächelte mich breit an, sagte "Danke, danke!", nickte mir wie wild zu und marschierte in die angegebene Richtung davon.
Deutlich besser gelaunt als noch vor zwei Minuten machte ich mich wieder daran meine Fahrradkette an ihren Platz zu bringen und fuhr dann weiter Richtung Post. Völkerverständigung ist gar nicht so schwer.

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